newsage 4/2009 85
Tròsten - wie macht man das?
Wenn wir einen geliebten Mensch ver- lieren, ganz gleich ob durch den Tod oder durch Scheidung, fühlen wir uns meist vollkommen allein. Dazu spüren wir eine innere Kälte, auch wenn es draußen heiß ist. Kummer, Schmerz und die Frage nach dem “Warum” beherrschen unser Herz. In solchen Zeiten brauchen wir den Trost und die liebevolle Aufmerksamkeit ande- rer Menschen. Doch die sind leider nicht selbstverständlich. Eine Mutter erzählt, dass eine gute Freundin nach der Beer- digung ihrer Tochter beim Kondolieren zu ihr sagte: “Zum Glück sind Dir ja noch zwei Kinder geblieben!” Die Mutter war erschüttert. Verstand diese Freundin denn nicht, dass ihr Herz sich nur nach dem Kind sehnte, das sie gerade verloren hatte? Diese als Trost gemeinten Worte enthielten gar keinen Trost und zwischen den beiden Freundinnen herrschte von da an Funkstille.
Andere Hinterbliebene erzählen, dass Freunde und Bekannte sich im Super- markt wegducken, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen. Der Mann einer jun- gen Frau war vor kurzem an Herzversagen
gestorben und nach nur drei Monaten fragte eine Bekannte: “Jetzt bist du doch wieder über den Berg, oder?” Jeder sollte wissen, dass Verlustschmerz und Kum- mer die ersten zwei Jahre immer schlim- mer werden, weil es so lange dauert, bis unser Herz endlich anfängt zu verstehen: der/die Andere kehrt nie wieder zurück.
Aber warum reagieren wir in solchen Si- tuationen oft so schroff? Weil wir denken, dass wir etwas sagen sollten. Wir sollten doch einige Trostworte sprechen. Aber was erhofft sich der/die Hinterbliebene eigentlich von uns? Erwartet er oder sie wirklich Trostworte? Meistens nicht. Eine Frau wurde fünf Jahre nach dem Verlust ihres Kindes gefragt: “Welche Freunde haben Dir während der letzten fünf Jah- ren geholfen und wie haben sie Dir gehol- fen?” Sie antwortete: “Die Menschen, die mit Tränen in ihren Augen zu mir kamen und sagten, ‚Ich weiss nicht was ich sagen soll‘, die haben mir geholfen. Ich hatte das Gefühl, dass sie meinem Schmerz wirklich verstanden. Aber alle, die mit Ratschlägen kamen oder mir erzählten, was ich tun sollte, um wieder ein fröhlicher Mensch zu werden – ich habe sie gehasst! Gera- de dann fühlte ich mich besonders allein,
weil ich spürte, dass sie nicht wirklich ver- standen, was ich durchlebte.”
Trösten ist also die Fähigkeit zu schwei- gen, wenn es nichts zu sagen gibt. Aber warum haben wir dann so oft das Gefühl, dass wir doch etwas sagen sollten? Weil es so schwer ist mit leeren Händen, ohne Worte dazustehen: dann fühlen wir uns so ohnmächtig. Und um diese Ohnmacht zu vermeiden, sagen wir oft solch billige Worte, die für die Hinterbliebenen verlet- zend sind. Wer es also wagt, sich wirklich ohnmächtig zu fühlen und schweigend den Schmerz des Anderen mitzutragen, der hat verstanden, was wirklicher Trost ist. Der weiß, dass Trösten die Kunst des Schweigens ist und der Mut, ohnmächtig zu sein.
Buchtipp:
Hans Stolp
Der Weg ins Jenseits
Ein Trostbuch
140 Seiten, € 9,95 ISBN 978-3-89427-257-9